Graubünden ist ein Trailrunning-Paradies – Interview mit Dan Patitucci

«Graubünden ist ein Trailrunning-Paradies»

Seit über zwanzig Jahren bereisen Dan Patitucci und seine Frau Janine die Welt als Fotografen und Trailrunner. Der mittlerweile in Interlaken lebende Amerikaner zeichnet sich nicht nur als exzellenter Fotograf aus, der es schafft, Trailrunning über die Landschaft ins Zentrum seiner Bilder zu stellen, sondern auch als profunder Kenner von Trailrunningregionen auf der ganzen Welt. Im Interview mit «graubünden Trailrun» ordnet Dan Graubünden als Trailrunningkanton im nationalen und internationalen Vergleich ein, beschreibt seine persönlichen Präferenzen und zeigt das Potenzial auf, welches Trailrunning als touristisches Angebot in Graubünden hat.

Dan, du warst und bist als Trailrunner und Fotograf in der ganzen Welt unterwegs – in welchen Ländern bist du die schönsten, anspruchsvollsten und speziellsten Trails gelaufen?

Sowohl für meine Arbeit als Fotograf wie auch als Sportler konnte ich in Patagonien, Island, Nepal, Tibet, Indien, in den Alpen und in Nordamerika laufen. Das schönste, anspruchsvollste und speziellste Trailrunning findet für mich im Himalaya statt. Diese Region passt zu meinem Stil und meinen Vorlieben als Sportler, und natürlich entstehen dort unglaubliche Bilder. Das liegt aber auch daran, dass diese Region für mich ein Traumziel ist, denn die Alpen, in denen ich 15 Jahre lang gelebt habe, sind mir bereits vertraut. Für einen Läufer aus dem Ausland können die Alpen aber gleichermassen ein Traum sein und sich durch viele der gleichen Qualitäten, die der Himalaya für mich hat, auszeichnen.

Wo ordnest du die Schweiz als Reiseziel für Trailrunner:innen ein, was unterscheidet die Schweiz von anderen Ländern?

Ehrlich gesagt sind die Alpen, seien es die französischen oder die Schweizer Alpen, wahrscheinlich das beste Allround-Trailrunning-Revier. Natürlich kommt es darauf an, was man will. Wenn es um Einsamkeit und echtes Abenteuer geht, dann sind die Alpen nicht ideal, sie sind bereits zu zivilisiert und zu stark frequentiert. Aber für Läufer:innen, die idyllische Laufstrecken, Läufe auf Berggipfel, kulturelle Erfahrungen, gutes Essen und Komfort suchen, stehen die Alpen zweifellos ganz oben auf der Liste. Das alles ist in den Alpen leicht verfügbar – sie sind das perfekte Urlaubsziel für Trailrunning.

Wie würdest du die Schweiz als Trailrunning-Nation charakterisieren?

In der Schweiz scheint sich Trailrunning noch nicht so stark als Outdooraktivität in den Bergen etabliert zu haben wie in Italien und Frankreich. In der Schweiz ist das traditionelle Wandern immer noch am beliebtesten, vor allem in der Deutschschweiz. In der französischen Schweiz sehe ich viel mehr Läufer:innen, aber auch in der deutschen Schweiz steigt ihr Anteil kontinuierlich an. Trailrunning wächst, aber die Entwicklung geschieht nicht so explosionsartig, wie dies in Frankreich und Italien der Fall war.

Du warst in den letzten Jahren viel im Kanton Graubünden unterwegs für die Konzeption der Via Grischuna, aber auch für diverse Shootings im Auftrag von «graubünden Trailrun» – wie hast du Graubünden als Trailrunning-Kanton erlebt? 

Ich musste den Kanton Graubünden zuerst kennenlernen, bevor ich seine Vorzüge richtig geniessen konnte. Graubünden hat seine Qualitäten – es gibt einfach keine bessere Region in der Schweiz, um im Herbst dort zu sein. Die Farben der Landschaft, die kleinen Dörfer und natürlich die Seen verleihen Graubünden eine magische Energie.

Du hast die Via Valais im Wallis konzipiert, du lebst im Berner Oberland und hast daher die Möglichkeit zu vergleichen – was unterscheidet den Kanton Graubünden von anderen Trailrunning-Kantonen in der Schweiz?

Es sind weniger Leute in den Bergen unterwegs, man kann auch in abgelegenen Gebieten laufen und die Trails befinden sich in einer idealen Höhenlage – damit ist der Kanton sehr trailrunningfreundlich. Das Wanderwegnetz ist ideal für Trailrunner:innen, die wirklich laufen statt wandern wollen, da es meist nicht so steil ist.

Welche Regionen in Graubünden haben dich am meisten fasziniert, was zeichnet diese aus?

Während unseres einmonatigen Aufenthalts in Graubünden, bei dem wir in 15 verschiedenen Regionen fotografiert haben, waren unsere Favoriten Davos, Savognin (Surses), Surselva (Brigels), Zuoz und Pontresina. Unser absoluter Favorit war aber das Val Müstair.

Hier fanden wir all das, was wir uns fürs Trailrunning wünschen: Wenige Begegnungen mit Kühen, das Potenzial für anspruchsvolle Runden, wunderschöne Aussichten, ein Gelände, das einem in seinen Bann zieht und immer wieder neugierig macht, was man als nächstes sehen wird und interessante Streckenabschnitte, die man laufen kann – Gipfel, naturbelassene Trails und natürlich Bergkämme.

Die meisten unserer Lieblingsregionen wiesen diese Eigenheiten auf. Zuoz und Brigels zeichnen sich durch hohe, laufbare Grate oberhalb der Dörfer aus, Davos durch eine Art «Rennstrecke» mit einer Auswahl an vielen perfekten Trails, Surses und Pontresina durch ein wenig von allem und natürlich das Val Müstair durch perfekte Trails mit zusätzlich einem riesigen Potenzial an Gratläufen, während die Destination gleichzeitig in einer ruhigen kleinen Ecke liegt.

Trailrunning als Destinationsangebot ist in Graubünden noch in der Entwicklung – gibt es Destinationen, die aus deiner Sicht in dieser Entwicklung schon sehr weit sind?

Davos, Pontresina und St. Moritz haben sich bereits zu Trailrunning-Destinationen entwickelt. Das sind auch die bekanntesten Namen in Graubünden und die grössten Destinationen in den Bergen des Kantons.

Was erwartest du von den Destinationen, die du als Trailrunner besuchst, gibt es «must have»-Angebote, die vorhanden sein müssen?

Unsere Bedürfnisse sind recht einfach und die Schweiz erfüllt diese überall. Ideal ist für mich zusätzlich ein Angebot an Hütten, das mir die Planung von langen Läufen ermöglicht, bei denen ich bei Bedarf auch übernachten oder unterwegs Essen und Trinken bekommen kann. Hütten eröffnen bessere Möglichkeiten für grössere Touren.

Was sind die Kriterien, die ein attraktives Trail-Angebot in einer Destination auszeichnen?

Aus unserer Tätigkeit als Berater für Reiseveranstalter, die Trailrunning-Pakete anbieten, wissen wir, dass Läufer:innen, welche die Alpen besuchen, sich Folgendes wünschen:

  • Ein breites Hotelangebot von einfach und günstig bis hin zu moderat luxuriös.
  • Gesunde und moderne Verpflegungsmöglichkeiten für Sportler:innen, einschliesslich eines erweiterten vegetarischen und veganen Angebots.
  • Wäscheservice im Hotel.
  • Bergbahnen, mit denen Höhenmeter schnell und einfach bewältigt werden können.
  • Die Möglichkeit, bei mehrtägigen Touren das Gepäck zwischen den Übernachtungen transportieren zu lassen.

In welchen Bereichen hat das Trailrunning-Angebot im Kanton Graubünden noch Entwicklungspotenzial?

Der Sport und die Kultur des Trailrunnings müssen von den Regionen verstanden werden. Es ist nicht Wandern oder Mountainbiken – und auch nicht jede Region ist für Trailrunning geeignet. Trailrunner:innen haben spezielle Bedürfnisse und wünschen sich gewisse Qualitäten. Und das Marketing und die Kommunikation müssen authentisch und ehrlich sein, damit das Publikum die Angebote zu schätzen weiss.

Welches touristische Potenzial siehst du für den Kanton Graubünden im Trailrunning?

Ich denke, Graubünden wird das Schweizer Trailrunning-Publikum sofort ansprechen, wenn es gut vermarktet wird mit Angeboten, Bildern und natürlich wirklich tollen Trail-Erlebnissen. Die Schweizer wissen bereits, wie speziell die Region ist – aber für viele Ausländer ist der Name Graubünden unbekannt. St. Moritz und Davos hingegen sind bekannte Destinationen und können auch ein ausländisches Publikum anziehen.

Ist es nicht eigenartig, dass das, was oberhalb von Brigels und Zermatt liegt, genau gleich gut ist, und dennoch will fast jeder Gast in der Schweiz nur den Namen «Zermatt» in seinen sozialen Medien sehen? Wie sieht die Marketingstrategie aus, um damit umzugehen? Mit unserer Website «Elevation : The Alps Trail & Peak Running Resource» versuchen wir zu zeigen, dass Erfahrungen in Brigels vielleicht lohnender sein können, weil sie so viel persönlicher sind.

Letztlich wird es auf dem ausländischen Markt schwierig sein, mit Regionen zu konkurrieren, die mit bekannten Destinationen, Gipfeln, Trails und Trailrunningevents verbunden sind. Aber das ist ein zweischneidiges Schwert, denn diese Orte sind auch unglaublich stark frequentiert, oft zu stark. Manche Menschen suchen nach ruhigeren Orten – Graubünden ist prädestiniert, um sich als Trailrunning-Paradies zu positionieren. Man muss vorsichtig sein, mehr Trailrunninggäste anzulocken, sonst geht dieser Charakter verloren. Graubünden hat das Potenzial, für sich selbst und für seine Besucher genau die richtige Menge von allem zu sein und zu haben. Ich persönlich hoffe, dass es so bleibt.

Welches sind deine persönlichen Lieblingsstrecken im Kanton, die du unbedingt wieder laufen möchtest?

Im nächsten Herbst werden wir sicher wieder die Grate oberhalb von Zuoz und Brigels und vor allem das Val Müstair erkunden.

 

Anmerkung: Interviewsprache Englisch / Text & Übersetzung: Walter Burk